Marietta’s Song

Opera: » Die tote Stadt «

by Jan Schmidt-Garre
(zur deutschen Fassung)

Marietta’s song is by far the most famous number in Korngold’s » Dead City «. Because it is a song, a kind of theatre on the theatre or music in the music, it is an alien element in this opera, both musically and dramaturgically, even apart from its popularity. How to stage it?

A postmodern director would stage his attitude to the song, perhaps quoting the typical pose of Marietta and Paul with the lute that we know from historical performances. He would emphasise the character of the alien element and ironically expose the song in its familiarity. Why would he do that? Because otherwise he would be embarrassed in front of himself, friends and experts, who might assume that he was unaware of the song’s show piece character and its popularity. So he quotes ironically, because it seems no longer possible for us to take such a request concert number seriously with our consciousness today – perhaps even regrettably. He mistrusts the piece or its integrative power as a director and seemingly critically unmasks what is already out in the open. Ultimately an act of desperation. An unreflected display of coolness, immunisation against criticism.

In my production, I try instead to integrate the song, to take away its (dramaturgical) show piece character. Marietta’s visit to Paul, which she was afraid of but also looking forward to and perhaps even hoping for, threatens to turn into a catastrophe. On the street, Paul had approached her so passionately and urged her to visit him that she couldn’t resist. She fell in love with this passion, this fanatically flaming gaze. She wanted to feel this gaze on her again and again. » You knew how to ask so urgently. « Now she comes to him and he doesn’t speak to her, stares at her strangely, examines her hair, her voice, her shoulders, her dress, exchanges conspiratorial words with the housekeeper, hangs a scarf around her neck and presses an old lute into her hand. Only when she tells him that she can sing passably well does he thaw a little. And when she starts the song, he finally becomes softer, more approachable, more normal. He opens up. He even reveals that he knows the song and associates it with memories from » younger, better days «. Now he takes over the lute and sings the second verse. They now even sing a duet. They have never been this close before. Marietta puts her hand on his shoulder. The form of singing together allows her this transgression. But as soon as the song ends, Paul sinks into gloom – a depressive counterpart to the manic comparison between the living and the dead. The lute slips from his hand, threatening to fall to the floor, and Marietta takes it from him. In a last attempt to reconnect with the previous intimacy, she gives him a little kiss. But in the end she realises with resignation: » That stupid song, it’s completely bewitched you. «

Here, the song is an organic part of the plot, logically integrated and psychologically motivated for both protagonists. It drives the plot forward and illuminates the characters. The audience doesn’t even realise that this is a famous piece. There is no applause!



Mariettas Lied

von Jan Schmidt-Garre

Mariettas Lied ist bei weitem die berühmteste Nummer der » Toten Stadt «. Weil es ein Lied ist, eine Art von Theater auf dem Theater oder Musik in der Musik, ist es schon unabhängig von seiner Popularität ein Fremdkörper in der Oper, musikalisch wie dramaturgisch. Wie das inszenieren?

Ein postmoderner Regisseur würde seine Haltung zum Lied inszenieren, würde vielleicht die typische Pose Mariettas und Pauls mit der Laute zitieren, die wir aus historischen Aufführungen kennen. Er würde den Charakter des Fremdkörpers betonen und das Stück in seiner Bekanntheit ironisch ausstellen. Warum täte er das? Weil er sich sonst vor sich selber, vor Freunden und Experten genieren würde, die annehmen könnten, ihm seien der Nummerncharakter des Lieds und seine Popularität nicht bewusst. Also zitiert er ironisch, denn eine solche Wunschkonzert-Nummer ernstzunehmen, ist uns mit unserem Bewusstsein heute nicht mehr möglich – vielleicht sogar bedauerlicherweise. Er misstraut also dem Stück oder seiner Integrationskraft als Regisseur und entlarvt scheinbar kritisch, was ohnehin offen daliegt. Letztlich eine Verzweiflungstat. Unreflektiertes Ausstellen von Coolness, Immunisierung gegen Kritik.

In meiner Inszenierung versuche ich stattdessen, das Lied zu integrieren, ihm seinen (dramaturgischen) Nummerncharakter zu nehmen. Der Besuch Mariettas bei Paul, vor dem sie Angst hatte, auf den sie sich aber auch gefreut und von dem sie sich vielleicht sogar etwas erhofft hatte, droht in eine Katastrophe zu münden. Auf der Straße hatte Paul sie so leidenschaftlich angesprochen und bedrängt, ihn zu besuchen, dass sie nicht widerstehen konnte. In diese Leidenschaft, in diesen fanatisch flammenden Blick hat sie sich verliebt. Diesen Blick will sie wieder und wieder auf sich spüren. » Gar dringlich wussten Sie zu bitten. « Nun kommt sie zu ihm, und er spricht nicht mit ihr, starrt sie komisch an, untersucht ihre Haare, ihre Stimme, ihre Schultern, ihr Kleid, tauscht sich konspirativ mit der Haushälterin aus, hängt ihr einen Schal um und drückt ihr eine alte Laute in die Hand. Erst als sie ihm sagt, dass sie passabel singen kann, taut er etwas auf. Und als sie mit dem Lied anfängt, wird er endlich weicher, zugänglicher, normaler. Er öffnet sich. Offenbart sogar, dass er das Lied kennt und Erinnerungen damit verbindet, aus » jungen, schöneren Tagen «. Nun übernimmt er die Laute und stimmt seinerseits die zweite Strophe an. Jetzt singen sie sogar im Duett. So nah waren sich die beiden noch nie. Marietta legt ihm die Hand auf die Schulter. Die Form des Miteinander-Singens erlaubt ihr diese Übertretung. Doch kaum ist das Lied zuende, versinkt Paul in Düsternis – depressives Gegenstück zum manischen Abgleichen der Lebenden mit der Toten zuvor. Die Laute gleitet ihm aus der Hand, sie droht auf den Boden zu fallen, Marietta nimmt sie ihm ab. In einem letzten Versuch, an die Vertrautheit von eben anzuknüpfen, gibt sie ihm einen kleinen Kuss. Doch schließlich muss sie resigniert feststellen: » Das dumme Lied, es hat Sie ganz verzaubert. «

Das Lied ist hier organischer Teil der Handlung, logisch integriert und für beide Figuren psychologisch motiviert. Es treibt die Handlung voran und erhellt die Charaktere. Dass es sich hier um eine berühmte Nummer handelt, nimmt der Zuschauer gar nicht wahr. Es gibt keinen Applaus!

Opera: » Die tote Stadt «